Unser 6. Volkstrauertag Veranstaltung wurde gut besucht, wie immer.
Siegfried Schulz hat uns wieder mit eine Geschichte aus Waldenbuch sehr bewegt.
Dieses Jahr ging es um Rassismus?-Bei uns doch nicht!
Unser 6. Volkstrauertag Veranstaltung wurde gut besucht, wie immer.
Siegfried Schulz hat uns wieder mit eine Geschichte aus Waldenbuch sehr bewegt.
Dieses Jahr ging es um Rassismus?-Bei uns doch nicht!
Volkstrauertag 2013
Rassismus? - Bei uns doch nicht!
1. Hinführung zum Thema
Rassismus? – Bei uns doch nicht!
Rassist? – Ich doch nicht!
Mögen andere alberne Debatten führen:
• Ob Pippi Langstrumpfs Vater, einst der
Schrecken der Meere, jetzt Negerkönig in
Takatukaland sein darf, oder ob das Wort
„Negerkönig“ politisch inkorrekt ist und geändert
werden muss...
• Ob Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
und Frau Waas aus dem Paket einen „kleinen
Neger“ ausgepackt haben oder einen kleinen
Schwarzen oder einen Farbigen oder..
Unsäglich dagegen die Diskussion,
• ...ob ein Wirtschaftsminister Rössler mit
vietnamesischen Wurzeln als deutscher
Vizekanzler tragbar sei...
• ...oder das Schweigen in Fran kreich angesichts
der Beleidigung einer schwarzen Ministerin.
Aber :Bei uns in Waldenbuch doch nicht!
Rassismus kommt bei uns nicht vor!
2.Marie Reinhardt.
Der 2. Februar 1860 ist in Waldenbuch ein besonderer
Tag. Am 2. Februar 1860 heiratet die jüngste Tochter
des Waldenbucher Stadtpfarrers Gottfried August
Hauff – sie heißt Julie – den verwitweten Pfarrer von
Dagersheim, Wilhelm Finckh.
Zu ihrem Hochzeitstag hat Julie ihre Freundinnen
eingeladen, darunter auch Marie Reinhardt. Die
Hochzeitsgesellschaft ist nicht nur eine Gesellschaft
von typisch schwäbischen Honoratioren. Sie ist auch
eine exotische Gesellschaft. Denn die Schwester der
Pfarrfrau Hauff ist mit ihrem Mann, dem Pfarrer und
Missionar Dr. Herrmann Mögling aus Mangalore in
Indien gekommen. Also wird auch von fremden
Ländern gesprochen, von indischen Urwäldern und
indischen Menschen, von unbekannten Tieren,
Pflanzen und seltsamen Früchten, von Götzenbildern,
vom Reich Gottes und von dem, was die Missionare
dort in Mangalore tun. Indien ist damals, vor über 150
Jahren, noch viel, viel weiter weg als heute.
Aber Rassist ist niemand in dieser Gesellschaft.
Rassismus ist ein Begriff, der dieser
Honoratiorengesellschaft so fern liegt wie
Mangalore in Indien.
Doch wenige Tage nach der Hochzeit schlägt der Blitz
ein. Die Mutter des Missionars Dr. Mögling hatte sich
unter den Brautjungfern umgeschaut, ob sich eine für
die Arbeit in der Mission und als Ehefrau für den
Missionar Herrmann Anandrao Kaundinja eignen
würde.
Dieser Herrmann Anandrao Kaundinja ist der
Missionarsmutter lieb wie ein eigenes Kind. Mit seinen
dunklen Augen, mit seinem schwarzen Haar, mit
seiner sanften, bescheidenen Wesen war er immer
wieder bei ihr im Aldinger Pfarrhaus zu Gast gewesen.
Jedenfalls in jenen fünf Jahren, in denen er, der Inder,
die fünfjährige Ausbildung zum Missionar in Basel
durchlaufen hatte.
Der Blick der Missionarsmutter und Pfarrfrau fällt auf
Marie Reinhardt. Und so wird Marie wenige Tage nach
der Hochzeit ins Waldenbucher Pfarrhaus gerufen und
dort gefragt, ob sie sich vorstellen könne, nach Indien
zu gehen, in der Mission mitzuarbeiten und dort die
Frau von Herrmann Anadrao Kaundinja zu werden.
Wie gesagt: Der Blitz schlägt ein.
Später schreibt Marie: „Ich erschrak sehr!“ „Es hatte
mich fast gekränkt, dass man mir so etwas zumutete.“
Schrecken! Kränkung! Zumutung!
Rassist? – Ich doch nicht!
Man ist zwar auch im Hause Reinhardt pietistisch
fromm, der Vater hält jeden Tag eine Morgenandacht,
aber das dann doch nicht..!
Inder sind Fremde. Inder sind von ganz weit weg.
Selbst bei den Missionaren gelten sie als „Schwarze“,
auch dann, wenn ihre Haut so hell ist wie unsre.
Herrmann Kaundinja ist Brahmane, seine Haut ist fast
so hell wie unsre. Trotzdem!
Marie Reinhardt muss kämpfen. Zuallererst mit sich
selbst, mit ihrem Rassismus, von dem sie bisher
nichts geahnt hatte. Ich – nach Indien? Ich – einen
Inder heiraten, einen „Schwarzen“? Und was sagen
die anderen, „d`Leut“? Was wird der Vater sagen?
Aber zu Maries großem Erstaunen sagt der Vater ja...
Dann ist da noch die Tante Gottliebin, die in der
Familie Reinhardt mit lebt und die strikt gegen diese
exotische Heirat ist. Sie kann das Ja ihres Bruders
und ihrer Nichte überhaupt nicht verstehen. Die Tante
ist beleidigt. Sie kommt nicht mehr herunter zum
Essen, sie schweigt, ist tief gekränkt.
Rassist? – Nein, Rassist ist niemand in dieser
Familie! Oder doch? Wie wäre es denn bei uns, bei
mir – heute? Anders? Ganz anders?
Selbst die Missionsgesellschaft in Basel zögert. Eine
Europäerin und ein Inder!? Eine „Weiße“ und ein
„Schwarzer“. Kann das gut gehen? Nur zögerlich
stimmt sie zu.
Doch es gab auch Fürsprecher:
Der Vater, die Freundin Julie, jetzt Pfarrfrau in
Dagersheim, natürlich Dr. Mögling. Eine der
Pfarrtöchter im Waldenbucher Pfarrhaus Hauff
bekennt ihr traurig: „ Wenn ich gesund wäre, wäre ich
jetzt an deiner Stelle.“
Soll sie gehen?
Dann treffen die ersten Briefe aus Indien ein.
Herrmann Anandrao Kaundinja beherrscht die
deutsche Sprache in Wort und Schrift bestens. Und
sie, Marie Reinhardt – noch in Waldenbuch – ist, wie
sie selbst später schreibt „dann doch eine glückliche
Braut“ und unterstreicht das Wort glücklich. Noch im
selben Jahr 1860 reist sie nach Indien aus und steht
dort, es ist inzwischen November geworden, in
Mangalore zum ersten Mal ihrem künftigen Mann
gegenüber.
Am 4. Dezember 1860 findet die Trauung statt. Dr.
Mögling thematisiert in der Trauansprache die uralte
christliche Überzeugung von der Gleichwertigkeit aller
Menschen, spricht von Achtung, Respekt und
Solidarität zwischen Europäern und Asiaten,
Deutschen und Indern, Missionaren und
Missionskindern (wie man das damals nannte).
Muss er davon sprechen? Wissen das die anderen 31
Missionare und Missionsschwestern in Mangalore
nicht schon lange? Sie sind doch keine Rassisten!
Offenbar muss er davon sprechen!
Er spricht von der „Schwachheit“ der europäischen
Christen, spricht davon, dass die Gleichwertigkeit
gewohnter, selbstverständlicher werden müsse. In
seiner Ansprache finden sich Sätze wie dieser: „Ja,
liebe Missionsbrüder, auch ihr dürft euch das merken!“
Und Herrmann Anandrao Kaundinja?
Alles okay? Alles eitel Sonnenschein?
Kaundinja wird später schreiben: „Ich bin ein Fremder
und doch kein Fremder unter euch.“ Und an einer
anderen Stelle: „Ich hatte es schwer gegenüber dem
Rassegeist der Brüder.“
Da ist es wieder, das Wort: Rasse. Rassegeist.
Rassismus.
3. Perspektivwechsel:
Alles okay? Alles eitel Sonnenschein?
Kaundinja wird später schreiben: „Ich bin ein Fremder
und doch kein Fremder unter euch.“ Und an einer
anderen Stelle: „Ich hatte es schwer gegenüber dem
Rassegeist der Brüder.“
Da ist es wieder, das Wort: Rasse. Rassegeist.
Rassismus.
Wer ist dieser Herrmann Anandrao Kaundinja, für den
es in Esslingen auf dem dortigen Ebershaldenfriedhof
noch heute ein Denkmal gibt?
Kaundinja stammte aus einer Brahmanenfamilie. Sein
Vater war Jurist, die Familie ist reich. Er wird von
seinem Vater religiös erzogen. Später erzählt er
gerne, wie sein Vater mit ihm schon früh über jenes
Geheimnis spricht, das wir „Gott“ nennen. Der Vater
erzieht den Sohn religiös – und tolerant.
Kaundinja wurde 1825 geboren, verlor dann schon mit
neuen Jahren Vater und Mutter. Die Großfamilie
übernimmt die Erziehung. Man besitzt Gärten, Güter,
Häuser. Der kleine Anandrao wächst mit vier
Sprachen auf und wird später noch vier weitere
Sprachen erlernen. Dabei sind Sprachen nicht seine
Leidenschaft, sondern Mathematik, Philosophie und
Religion. So kommt es auch, dass er Kontakt zur
Missionsstation in Mangalore sucht, sich taufen lässt
und dort Katechismuslehrer wird. Später – Sie haben
es schon gehört – lässt er sich in Basel zum Missionar
ausbilden.
Ein Inder unter Deutschen? Ein „Schwarzer“ unter
„Weißen“? Er kennt seine „Missionsgeschwister“. Er
muss fürchten, mit seiner Ehe Anstoß zu erregen. Und
er erregt Anstoß. „Er hatte“ – heißt es in einer Quelle –
„doch gelegentlich von einigen zu leiden, die ihm
wenig sympathisch, sondern ihn wegen jeder
Kleinigkeit kritisierten, wo sie meinten, er wolle sich
Europäern gleichstellen.“
Das darf also nicht sein, selbst unter Missionaren,
selbst unter Christen nicht, dass da ein Fremder den
Anschein erwecke, „sich den Europäern gleichstellen“
zu wollen.
Aber Rassisten? Hier ist niemand Rassist..!
Vielleicht noch dies:
• Aus der Ehe Kaundinjas mit Marie Reinhardt aus
Waldenbuch gehen elf Kinder hervor, von denen
drei früh sterben. Nachkommen leben heute
noch in unserer Nähe, zum Beispiel in
Reutlingen.
• Kaundinja setzt sich als Missionar ganz
besonders für die Kastenlosen ein, die Daliths.
Für sie erwirbt er Grund und Boden, für sie
gründet er eine Ansiedlung, ein eigenes Dorf, für
sie kämpft er um eine Kaffeeproduktion, dann
gegen Missernten und gegen den
Bohnenstecher, einen Schädling, der immer
wieder die Kaffeeernte vernichtet.
• Kaundinja wird darüber zu einem armen Mann.
Am Ende hat er sein ganzes Vermögen für die
Kastenlosen eingesetzt. Für ihn und seine
Familie bleibt nichts. Aber das scheint ihn nicht
sonderlich zu berühren.
• Am 1. Februar 1893 stirbt er Indien und wird dort
auch bestattet. Seine Frau, Marie, kehrt danach
nach Deutschland zurück, lebt in Esslingen und
ist dort bestattet.
Kaundinja war ein Grenzgänger zwischen den
Kulturen und Religionen. Er war Inder und Basler
Missionar, Brahmane und evangelischer Christ
württembergisch-pietistischer Prägung.
In allen Höhen und Tiefen seiner Biographie bleibt er
mit seiner sanften, liebevollen, hörsamer,
leidensbereiten und engagierten Art Vorbild - auch für
uns heute – für unser Miteinander in einer
multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft.
4. Und in Waldenbuch?
Rassismus kommt in Waldenbuch nicht vor. Wir
sind keine Rassisten!
Marie Reinhardt und Herrmann Kaundinja, - das ist
über 150 Jahre her, und die beiden haben ja gerade
Rassenschranken überwunden, haben den Rassismus
hinter sich gelassen, wenn auch nicht ohne Kämpfe.
- Juden haben wir in Waldenbuch nicht gehabt. Na, ja
einen Halbjuden. Dem hat man ab und zu in jenen
Jahren 1933 bis 45 ein bisschen Angst gemacht, hat
an seinem Fenster hinauf geschrieben bei Nacht. Aber
sonst?
- Katharina G. und August W. aus Waldenbuch
wurden 1940 in Grafeneck vergast. Geistig behindert.
Aber ist das Rassismus?
- Die Asylbewerber damals in der Notunterkunft beim
Hallenbad... Es war schon gut, dass wir einen
Telefonkette eingerichtet hatten, dass die Polizei kam,
als ein paar junge Männer abends in der Dunkelheit
um die Baracke herum randalierten.
- Sind die türkischen, serbischen, palästinensischen
Mitbürger in unserer Waldenbucher Gesellschaft
angekommen? Und wenn nicht – warum?
- Auf dem Verteilerkasten an der Ecke Dresdner
Straße/Königsberger Straße steht seit vielen Jahren
„ASI“ raus, und das S ist zackig wie die Runen der SS
geschrieben. Irgend jemand hat ein Herz um alles
herum gemalt. Für was stehen wir, stehe ich: Für die
SS-Rune? Für das Herz?
- Und was widr sein, wenn jetzt die ersten Flüchtlinge
– Asylbewerber – bei uns eintreffen? Wie werden wir
sie empfangen?
Sonst nichts?
Doch: Vor über 150 Jahren gab es in Waldenbuch
Menschen, zum Beispiel jene Marie Reinhardt, die
urplötzlich den Rassisten in sich selbst entdeckt
haben, sich dann gegen diesen Wahn in sich
angekämpft und gesiegt haben.
Wir wollen das nicht vergessen.
RASSIST? – ICH DOCH NICHT!
Siegfried Schulz
Im Sommer 2013
Rassismus? – Bei uns doch nicht!
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